Abenteuer Kleidungskauf

Als mit einem guten Meter sechzig durchschnittlich große, aktive Rollstuhlnutzerin, wie Teilzeitläuferin, liebe ich schöne Kleidung genauso wie die Komplimente, die ich dafür bekomme und unterscheide mich in diesem Punkt nicht von Millionen anderen Frauen.

Etwas Passendes, Schönes und Funktionales zu finden gleicht allerdings einer Abenteuerreise. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass ich die Zeiten um die frühen 2000er sehr vermisse, in denen ich eine Hose, fast, egal welcher Marke in meiner Größe sah und wusste, die passt. Oft habe ich sie zur Sicherheit noch mal anprobiert und dann einfach gekauft. Die Bekleidungsindustrie, die öfter mal an den Konfektionsgrößen schraubt um dem immer breiter werdenden Durchschnittsmenschen gerecht zu werden, hat mir da einen Bärendienst erwiesen bzw. tut es immer noch.

Jacken, Mäntel und Pullover sind entweder zu kurz, sodass mein Rücken freiliegt oder für meinen durch Rollstuhlfahren, Schwimmen und an-Gehstützen-Laufen breiten Oberkörper zu schmal. Oft muss ich, im Falle von Versandhausbestellungen Größenzuschlag bezahlen, der schon ab 40, wohlgemerkt M, losgeht. Mit Zwischengrößen, also zum Beispiel 40 / 42 kann ich gar nichts anfangen, da dort das Verhältnis Länge zu Breite nicht mehr passt und ich mir wie in einem Zelt vorkomme. Das Problem eines Missverhältnisses zwischen Länge und Breite von Ober- bzw. Unterkörper teilen viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen. Der Grund dafür liegt meist im sich von dem eines ,,Fußgängers“, wie Menschen ohne Handicap gerne von Menschen mit Handicap genannt werden, stark unterscheidenden Belastungsprofil.

Möchte ich eine Bluse kaufen, muss ich neben der Größe auch darauf achten, dass die Knöpfe groß genug sind und gut für mich zu öffnen gehen. Sobald sie welche an den Ärmeln hat, taugt sie absolut nicht für mich, weil ich die nicht selbst geöffnet bzw. geschlossen bekomme.
Kleider sind besonders schwierig. Sie müssen einerseits zu meinem breiten Oberkörper passen und dürfen anderseits nicht zu lang sein, sodass ich zum Beispiel drauftreten könnte. Natürlich kann man Kleidung grundsätzlich beim Schneider ändern lassen, aber damit verteuert sie sich oft erheblich. Im Falle eines schulterfreien Kleides verschiebt sich die Größe oft komplett, da der breite Oberkörper entfällt. Röcke dürfen, wie Kleider auch, weder zu weit noch zu lang sein.

Hosen sind ein Kapitel für sich. Hier muss ich aufpassen zu keiner Hüfthose zu greifen, da mein Rücken sonst freiliegt und ich Gefahr laufe, mich zu verkühlen. Außerdem sind meine Beine trotz der Tatsache, dass ich laufe so schmal, dass nur Größe XS infrage kommt. Im Falle von Größe S sind die Hosenbeine wieder so lang und das Größenverhältnis unpassend, dass sie erst zum Schneider müssten. Je nach Beinweite, kann ich die Orthesen entweder unter der Hose verschwinden lassen oder nicht. 7/8-Hosen gefallen mir in Kombination mit Orthesen nicht. Sie erwecken entweder den Eindruck, ich hätte sogenannte Hochwasserhosen an oder sind so geschnitten, dass sie für mich als komplett beinbedeckende Hosen taugen. Im Falle einer Jogginghose, kann ich sogar auf Kindergrößen zurückgreifen. Nicht selten kommt pro Hosenkauf leicht ein dreistelliger Betrag zusammen, da ich so selten die passende Größe finde.

Frau braucht ja auch noch Socken, im Winter Strumpfhosen oder Leggins. Hier wird es richtig ,,lustig.“ Damit ich laufen kann, benötige ich sonderangefertigte Orthesen. Im Falle von Socken und Strümpfen heißt das, dass sie nicht zu dick sein dürfen, da sie sonst in den Orthesen Falten werfen und wenn ich es nicht rechtzeitig bemerke, für Druckstellen sorgen. Zum Glück habe ich ,,nur“ eine Teillähmung und damit Gefühl in den Beinen, was dafür sorgt, dass es mir im Fall des Falles schnell auffällt. Außerdem müssen Socken über den Knöchel reichen. Das bedeutet das Aus für sogenannte Sneakersocken, die es momentan mehrheitlich zu kaufen gibt. Finde ich mal knöchelbedeckende Socken, kaufe ich einen ganzen Schwung, damit ich welche habe.

Strumpfhosen und Leggins dürfen nicht zu dünn sein, sonst gehen sie entweder kaputt oder ich friere. Andererseits auch nicht zu dick, sonst kommt das Falten – und Druckstellenproblem wieder auf.

Schuhe zu kaufen, ist das Schlimmste und Anstrengendste überhaupt für mich.

Orthopädische, die ich lange hatte, sehen in meinen Augen so ,,krank“ aus, dass ich sie nicht anziehen mag. Meine Orthesen sorgen allerdings dafür, dass ich im Falle eines handelsüblichen Schuhs drei Größen größer als ohne brauche. Aufgrund ihrer Machart kommen, ich habe es jahrelang ausprobiert, nur ein jeweils sehr bekanntes Modell, in der über den Knöchel reichenden Ausführung, aus den USA oder die englische Version davon in der Stoffausführung infrage. Beide haben noch einen weiteren Nachteil: Beim amerikanischen Modell ist der Stoff so dünn, dass er gerne mal umknickt oder zu stramm sitzt. Die Stoffversion aus dem Vereinigten Königreich ist zwar besser anzuziehen, da sie aus dem üblichen Turnschuhmaterial ist. Allerdings ist man, wie ich bei meinem letzten Kauf gemerkt habe, zu Leder übergegangen, was es sehr steif und schwierig anzuziehen macht. Noch dazu kommt die aktuelle politische Situation im Vereinigten Königreich. Sollte der Brexit zum 31.10.2019 Tatsache werden, ist dieses Schuhmodell sicher noch schwieriger in Deutschland zu bekommen als ohnehin schon. Hier muss ich abwägen und mich wahrscheinlich wieder auf die Suche nach einem passenden Schuhmodell machen.

Wenn es für festliche Anlässe etwa mal Schuhe ohne Orthesen sein sollen, muss ich trotzdem immer noch aufpassen, dass meine Hammerzehen, wie auch spastikbedingt verkrümmten bzw. versteiften Füße gut hineinpassen und einigermaßen sicher darin stehen, falls ich sie doch mal belasten muss.

Auch wenn das Bewusstsein für an die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen Einschränkungen, Erkrankungen oder Handicaps angepasste Kleidung, die möglichst ,,normal“ aussieht, in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist, gibt es hier noch einiges zu verbessern.

Da, auf die Gesamtmasse betrachtet, vermutlich die wenigsten Verkäufer*innen über persönliche Erfahrung bzw. Übung im Umgang mit dieser Personengruppe haben, anbei ein paar Tipps:

Wenn er oder sie Ihren Laden betritt, stürmen Sie nicht gleich los und fangen an, ihn oder sie zu bemuttern. So lieb Sie es auch meinen mögen, das wird im Regelfall nicht geschätzt. Jemand mit physischen Einschränkungen wird evtl. etwas länger brauchen sich umzusehen bzw. zu überlegen, wie vorzugehen ist, da Ihr Laden erstmal unbekanntes Gebiet ist. Sollte Hilfe benötigt werden, werden sich Ihre Kund*innen äußern und freuen sich, etwa über den Hinweis auf eine breitere gut mit dem Rollstuhl zu nutzende Kabine oder über ein gebrachtes Kleidungsstück derselben Ausführung in der passenden Größe.

Denken Sie nicht vor! Damit Sie besser nachvollziehen können, was gemeint ist zwei Beispiele.

Beispiel 1:

Eine Kundin im Rollstuhl, sie hat eine Narbe am Rücken, sucht ein rückenfreies Kleid für ihre Schulabschlussfeier. Hinsichtlich des Schnittes und der Farbe ist sie sich noch nicht ganz sicher, aber rückenfrei soll es sein. Beraten Sie sie in den genannten Punkten typgerecht, aber versuchen Sie nicht, ihr ein rückenbedeckendes Kleid, möglichst noch in einer dezenten Farbe, zu verkaufen, weil Sie persönlich der Meinung sind, die Narbe gehöre aus ,,ästhetischen Gründen“ verdeckt, statt durch Schnitt und Farbe unterstrichen.

Kommunizieren Sie direkt und mit der richtigen Person

Beispiel 2:

Jemand läuft etwas langsam und Ihrem Empfinden nach nicht ganz gerade. Er oder sie benötigt keinen Rollstuhl und kommt in Begleitung in Ihr Geschäft. Warten Sie, bis er oder sie sich umgesehen bzw. sich Ihnen hinsichtlich seiner oder ihrer Wünsche mitgeteilt hat. Leider kommt es allzu oft vor, dass die Begleitperson für eine*n Betreuer*in gehalten und sich mit ihm bzw. ihr (am besten noch in der dritten Person) über, anstatt mit der Person um die es eigentlich geht, unterhalten wird.

Beides sind unbedingt zu unterlassende Taktlosigkeiten. Ebenso wie grundsätzliches Duzen, auch wenn das in der heutigen Zeit immer weiter verbreitet ist. Sind sie sich nicht sicher ob ihre Kunden noch im entsprechenden Alter sind, siezen sie sie lieber. Sollte Ihnen eine der beiden oder eine ähnliche Situation dennoch passieren, grämen Sie sich nicht. Eine ehrlich gemeinte Entschuldigung bei der fraglichen Person, wenn Sie mögen auch mit dem Hinweis, daran gerade nicht gedacht zu haben, schafft die Angelegenheit genauso schnell aus der Welt, wie sie entstanden ist.

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Über den Autor

Sarah Riehle
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